Widerrufsrecht bei Telefon und Mailbestellungen
Das ist keine seltene Konstellation: Der Kunde bestellt Reifen, die der Händler seinerseits beim Großhandel ordern muss. Später überlegt es sich der Kunde anders. Die Bestellung beim Großhandel lässt sich in der Regel stornieren, aber es fallen Handlingkosten an. Wer diese Kosten trägt, hängt davon ab, wie es zu der Bestellung gekommen ist. Liegt ein Fernabsatzvertrag gemäß § 312 c BGB vor mit einem Widerrufsrecht des Kunden, hat der Händler keine Möglichkeit, die Kosten an den Kunden weiterzugeben.
Das gesetzliche Widerrufsrecht gilt nicht nur für Online-Käufer. Der Anwendungsbereich ist viel weiter: Es gilt für jeden Fernabsatzvertrag und kann damit auch zugunsten von Kunden des Reifenhandels eingreifen. Fernabsatzvertrag ist jeder Vertrag, der zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer unter ausschließlicher Nutzung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird. Die Situation „Verbraucher und Unternehmer“ findet sich im Reifenhandel regelmäßig, wenn der Privatkunde mit dem Reifenhändler ins Geschäft kommt. Der dabei abgeschlossene Vertrag ist ein Fernabsatzvertrag, wenn die für den Vertragsabschluss erforderlichen Erklärungen nicht persönlich abgegeben werden. Das betrifft den Kontakt per Telefon, per E-Mail oder über andere Nachrichtendienste (WhatsApp, Instagram usw.).
Da kaum ein Kunde spontan beim Händler erscheint, gehen fast alle Aktivitäten des Händlers auf solche Kontakte mit Kunden zurück. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Geschäfte mit Privatkunden nun unter die Regeln über den Fernabsatzvertrag fallen und immer ein Widerrufsrecht besteht. Es kommt darauf an, was am Telefon besprochen oder per elektronischer Nachricht ausgetauscht wird und was dann später in den Geschäftsräumen noch zu erledigen ist.
Vereinbart z. B. der Kunde am Telefon einen Termin für den Räderwechsel, ist das noch kein Vertragsabschluss. Den Auftrag, den Räderwechsel durchzuführen, erteilt der Kunde erst, wenn er zum Termin in den Geschäftsräumen erscheint. Der Vertrag wird dann unter Anwesenden geschlossen, so dass kein Fernabsatzrecht Anwendung findet.
Anders sieht es aus, wenn der Kunde – so könnte es im oben geschilderten Ausgangsfall sein – in dem Telefonat nach neuen Reifen fragt und der Händler ihm ein Angebot unterbreitet, sei es per Telefon oder per elektronischer Nachricht. Nimmt der Kunde dieses Angebot dann per Telefon oder elektronischer Nachricht an, kommt ein Fernabsatzvertrag über den Kauf dieser Reifen zustande. Der Kunde kann diesen Vertrag widerrufen. Erfolgt der Widerruf vor Auslieferung der Ware, ist er für den Kunden völlig kostenfrei. Der Händler kann angefallene Kosten dem Kunden nicht weiterbelasten.
Und es kommt noch schlimmer: Lässt man die Dinge laufen, hilft es auch nicht, wenn der Kunde später in die Geschäftsräume kommt und die Reifen abholt oder sogar die Reifen im Zuge eines Räderwechsels neu aufgezogen werden. Den Vertrag über den Kauf der Reifen wird man juristisch zu trennen haben vom Vertrag über den Räderwechsel, der ja erst in den Geschäftsräumen abgeschlossen wird.
Verträge in Anwesenheit des Kunden schließen
Abhilfe schafft hier nur eine aktive Vertragsgestaltung. Zeichnet sich ab, dass der Kunde später in den Betrieb kommt, muss die Gelegenheit genutzt werden, den Vertrag dann in seiner Anwesenheit abzuschließen. Wichtig ist daher, sich vom Kunden, der neue Reifen aufziehen lässt, nicht nur den Auftrag über den Räderwechsel, sondern auch den über den Reifenkauf unterschreiben zu lassen. Und noch etwas ist wichtig: Der Vertrag darf nicht schon vorher abgeschlossen worden sein. Daher empfiehlt es sich, im Vorfeld nur von „Anfragen“ zu sprechen und nicht von „Bestellungen“. Damit ist dann alles, was vor dem Besuch des Kunden besprochen wurde, nur Teil der „Vertragsanbahnung“.
Eine weniger praktikable Alternative wäre folgende: Das Gesetz sieht die Möglichkeit vor, dass der Verbraucher auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Man könnte den Kunden daher bei seinem Besuch im Betrieb auffordern, eine schriftliche Erklärung über den Verzicht auf das Widerrufsrecht zu unterschreiben. Dafür muss man aber erst einmal ein „Aufklärungsgespräch“ mit dem Kunden über die Folgen des Verzichts führen, und es ist auch nicht so wahrscheinlich, dass alle Kunden sich davon überzeugen lassen, dass sie auf ihr schon bestehendes Widerrufsrecht verzichten sollen.
Bei Fernabsatz wichtig: die Widerrufsbelehrung!
Den Fall, in dem der Kunde Reifen zum Versand ordert oder in dem er vor dem Besuch im Betrieb storniert, bekommt man damit nicht gelöst, wohl aber die meisten anderen Situationen.
Werden Reifen versandt oder zur Abholung bestellt besteht die Gestaltungsmöglichkeit hin zu einem „Vertrag unter Anwesenden“ nicht, Verbraucherkunden haben ein Widerrufsrecht. Daher ist es wichtig, dass dem Verbraucher zumindest eine den Vorschriften entsprechende Widerrufsbelehrung erteilt wird, denn nur dann ist das Widerrufsrecht des Verbrauchers auf 14 Tage beschränkt. Fehlt eine Widerrufsbelehrung, verlängert sich die Frist für das Widerrufsrecht für ein Jahr. Der Kunde kann also auch noch nach Monaten kommen und den Widerruf erklären. Bei Reifen, die der Kunde benutzt, ist das zwar kaum zu erwarten, denn der Kunde müsste die Abnutzung ausgleichen und hätte die Kosten für die Demontage zu tragen. Beim reinen Reifenkauf kann das jedoch zu einem spürbaren wirtschaftlichen Nachteil für den Händler werden.
Um die Erteilung der Widerrufsbelehrung sicherzustellen, müssen die Prozesse im Betrieb darauf eingestellt werden. Bei jedem per E-Mail abgesandten Angebot muss sich eine
Widerrufsbelehrung finden. Die Belehrung kann auch im Zuge telefonischer Bestellungen erteilt werden – nicht durch Vorlesen am Telefon, wohl aber indem eine Bestätigung per E-Mail erfolgt mit der Widerrufsbelehrung.
Vorsicht beim Telefonmarketing:
Ungefragte Telefonanrufe, also solche ohne Zustimmung des Kunden, sind grundsätzlich nicht erlaubt („Cold-Calling“), es gibt unerfreuliche Sanktionen durch Bußgeld, die die Bundesnetzagentur verhängt. Telefonische Betreuung von Kunden, vor allem Stammkunden, bleibt indessen davon unberührt.